Ettlingen, 08.04.2020

Seit Mitte März ist Tanzen für Hobby- und Leistungspaare untersagt; alle Vereine müssen auf Anweisung der Landesregierung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf weiteres ihren Betrieb einstellen. Das ist sicher vernünftig, aber eines zeigt sich in der Mitte des Shutdowns schon deutlich: Das Tanzen fehlt allen Paaren, einigen sogar sehr. Das hat sicherlich viele Gründe, persönliche allemal, aber interessanter Weise gibt es auch ganze handfeste Gründe, und sie sind biologischer und psychologischer Art

Die Zeitschrift „Gehirn & Geist“ aus der renommierten Reihe  „Spektrum der Wissenschaft“ hat das Tanzen in seiner aktuellen Ausgabe zum Schwerpunktthema gemacht und titelt „Tanz tut gut! Warum Bewegung zu Musik so gesund ist“. Julia Christensen, die Autorin des Beitrages “Lebenselixier Tanzen“, forscht als Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut in Frankfurt zum Thema „Tanz und Gehirn“.  Sie ist promovierte Psychologin, Neurowissenschaftlerin und Co-Autorin des Buches „Tanzen ist die beste Medizin“.

Tanzen, so Christensen, regt den Stoffwechsel an, trainiert Herz und Kreislauf und stabilisiert unser Immunsystem – gesundheitlichen Aspekte, die schon seit einigen Jahren bekannt sind. Tanzen, so die Autorin, fördert aber auch das psychische Wohlbefinden und muntert die Biochemie unseres Körpers auf: Während des Tanzens werden vermehrt Bodenstoffe wie Oxytozin, Prolaktin und Serotonin ausgeschüttet, unsere Bindungs- und Glückshormone, während der Spiegel unseres Stresshormons Kortisol sinkt. Dies reguliert und kräftigt unser Immunsystem, hebt unsere Stimmung und unsere schlechte Laune verschwindet.

Tanzpaare stehen in körperlichem Kontakt miteinander und berühren sich. Selbst diese scheinbare Nebensächlichkeit hat Auswirkungen, und diese lassen sich medizinisch messen: Der Herzschlag wird regelmäßiger, der Blutdruck sinkt, Stresshormone verschwinden, vorausgesetzt, dass der tänzerische Kontakt gewollt ist und als angemessen empfunden wird. Das soziale Miteinander der verschiedenen Paare und ihrer Trainer schaffen eine zusätzliche Sphäre des Wohlfühlens und schützen die Menschen vor dem Gefühl der Einsamkeit, einem großen Problem in der heutigen Gesellschaft.

Die oftmals komplexen Bewegungsabläufe von Tanzfiguren und Folgen stärken unser Konzentrationsfähigkeit und sorgen dafür, dass auch in fortgeschrittenem Alter sich Synapsen neu bilden. Verbesserung der Koordinationsfähigkeit, Erhöhung unserer Achtsamkeit uns selbst und den Mitmenschen gegenüber – viele Aspekte spricht Julia Christensen in ihrer Studie und in ihrem Buch noch an; es lohnt sich, sie zu lesen.

Eine zweiter Artikel in der Zeitschrift „Gehirn & Geist“ widmet sich dem Thema „Tanz statt Tablette“; er stammt von Corinne Jola, Neurowissenschaftlerin und Assistenzprofessorin an der University of Abertay Dundee in Schottland. Die Überschrift des Artikels ist wort-wörtlich so gemeint: 2018 fand im Europaparlament in Brüssel ein Treffen zwischen Abgeordneten, Tanztrainern und Wissenschaftlern statt, welche zum Ziel hatte, dass „Krankenversicherungen Tanz als Behandlung in ihre geprüften und finanziell unterstützten Behandlungstherapien aufnehmen“, so Jola. In Großbritanien und Nordirland sei dies schon im Gange, Deutschland und auch andere europäische Staaten unterstützen dies nicht.

Hintergrund dieses Vorstoßes war, dass es in Europa und den USA schon zahlreiche Tanzgruppen für Parkinson- und Demenzpatienten gab, weil Tanzen in der Lage war, die Symptome der Patienten zu lindern. Immer mehr Studien sind in den letzten Jahren zu den Stichworten „dance“ und „rehabilitation“ erschienen und zeigten unter wissenschaftlichen Testbedingungen (Versuchsgruppe und Kontrollgruppe),  dass Tanzen die kognitiven, taktilen und motorischen Leistungen sowie das subjektive Wohlbefinden der Patienten verbessern konnte. Tanztherapien können ebenfalls Symptome von Depressionen und Angststörungen lindern und damit die Lebensqualität dieser Menschen verbessern.

„Tanzen tut gut“ – was die Tanzpaare in den Tanzschulen und Tanzvereinen schon längst wissen, wird in den letzten Jahren nun auch immer mehr von Medizin und Forschung mit zahlreichen Studien untermauert. Vielleicht gibt es ihn dann doch noch irgendwann, den „Tanzkurs auf Rezept“.

Rezension: Rudi Gallus-Groß